In zahlreichen Projekten wird die Umwandlung von sogenanntem Überflussstrom in Gas und Wärme erprobt. Zwischenergebnisse wurden während der housewarming-Fachtagung unter dem Motto „power to everything“ am Hamburger Zentrum für Energie-, Wasser- und Umwelttechnik vorgestellt.
Das Problem ist seit Jahren bekannt, eine Lösung jedoch nur ansatzweise in Sicht. Deutschland hat zu wenig Speicherkapazitäten für Strom aus regenerativen Energiequellen und der Ausbau der geplanten Nord-Süd-Übertragungsleitungen kommt nicht voran. Das führt zu einer bizarren Situation: Im Norden wird mittlerweile so viel Strom aus Windkraft erzeugt, dass allein im Jahr 2015 drei Terrawattstunden ungenutzt blieben. Energieerzeuger mussten ihre Windräder abstellen und die Bundesnetzagentur zahlte dafür einen dreistelligen Millionenbetrag an Entschädigung. Gleichzeitig wurde im Süden über den Bau von teuren Gaskraftwerken sinniert, um den Strombedarf zu decken. Eine Diskrepanz, die die Energieexperten Professor Michael Sterner von der Ostbayrischen Technischen Hochschule Regensburg und sein Kollege Professor Hans Schäfers von der Fachhochschule Lübeck während der diesjährigen housewarming verdeutlichten.
Die mittlerweile bundesweit beachtete Fachtagung wurde bereits zum fünften Mal ausgerichtet. Gastgeber sind das Zentrum für Energie-, Wasser- und Umwelttechnik (ZEWU) der Handwerkskammer Hamburg und die HanseWerk AG. Beide Institutionen betreiben gemeinsam das Kompetenzzentrum für innovative Erdgasanwendungen am Harburger ELBCAMPUS, dem Bildungsinstitut der Handwerkskammer.
Das muss aufhören
Sterner und Schäfers waren sich einig, dass Power-to-Gas (PtG) und Power-to-Heat (PtH) einen substanziellen Teil des Speicherproblems kurzfristig und effizient abmildern könnten. Die Umwandlung von Strom in Wasserstoff und Methan hat Sterner gemeinsam mit Kollegen am Fraunhofer IWES erfunden. Zurzeit liegt die kummulierte Elektrolyseleistung für PtG-Anlagen in Deutschland bei knapp zehn Megawatt. Die installierte Leistung der weniger aufwendigen Power-to-Heat-Anlagen wird 2016 auf über 500 Megawatt ansteigen. „Heute gleichen wir Schwankungen in der Versorgung aus Sonnen- und Windenergie noch fast ausschließlich über Energie aus fossilen Brennstoffen aus. Das muss aufhören“, sagte Sterner in Hamburg mit Nachdruck. Er sitzt unter anderem im Weltklimarat (IPCC) und berät die Bundesregierung sowie die Europäische Kommission zu Speichertechnologien. Der Wissenschaftler beklagte zudem, dass der Ausbau des Leitungsnetzes zum Transport Erneuerbarer Energien aus dem windreichen Norden in den Süden nicht vorankomme. Erst ein Bruchteil der benötigten Kapazitäten sei entstanden.
Netzengpässe vor Hamburgs Türen
Ein deutschlandweites Problem, das sich wie unter dem Mikroskop auch in Norddeutschland wiederholt. In Nordfriesland und Dithmarschen, also entlang der Nordseeküste, wird ein Vielfaches mehr an Strom aus Windkraft produziert wird als die Region verbraucht. Gleichzeitig erreicht der überschüssige Strom durch die vorhandenen Netzengpässe nicht den südlichen Hamburger Ballungsraum, um ihn zuverlässig zu versorgen, erläuterte Hans Schäfers. Eben weil es keine Speicher gibt, die die natürlich bedingten Schwankungen im Herstellungsprozess auffangen können.
Wie kann die Stromversorgung zu 100 Prozent und ein Großteil der Wärmeversorgung aus nachhaltigen Quellen gesichert werden? In einem groß angelegten, länderübergreifenden Modellprojekt testet die Region ab Dezember 2016 quasi unter Laborbedingungen, eine verbesserte Stromversorgung. Das Verbundprojekt NEW 4.0 wird vom Bundeswirtschaftsministerium gefördert. Ihm gehören neben Wissenschaftlern der Hochschule für Angewandte Wissenschaften und anderer Universitäten 60 Projektpartner aus Wirtschaft, Privatinitiativen und Verbänden an. Um den Versuch zu einem Erfolg zu führen, müssten jedoch einige Bestimmungen etwa auch des Erneuerbaren Energien-Gesetzes außer Kraft gesetzt werden, so Schäfers. Ein Vorgehen bei Modellprojekten, das beispielsweise in den Niederlanden üblich sei und überhaupt erst aussagekräftige Fakten liefern könnte.
Die energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland waren während der housewarming mehrfach Thema kontroverser Diskussionen, etwa, weil in einigen Fällen Mehrfachumlagen entstehen. Thomas Brauer von HanseWerk ist Projektleiter der Windgasanlage Reitbrook. Er verdeutlichte, dass es in naher Zukunft Anpassungen geben müsse, damit PtG-Forschungsprojekte der Megawattklasse wie Reitbrook auch (wirtschaftlich) erfolgreich in die Praxis überführt werden könnten. Denn dass die Umwandlung von Strom in Wasserstoff hervorragend funktioniert und mit 70 Prozent einen hohen Effizienzgrad aufweist, zeige die Anlage bereits. Würde man nun noch wiederholen, was Anfang der 1980er Jahre schon einmal funktionierte, nähme die Vorstellung von Professor Sterner realistische Züge an. Damals wurde Methan in Größenordnungen ins bestehende Erdgasnetz eingespeist. Dann würde Strom aus Windkraft und Sonnenenergie Autos antreiben und Wohnungen wärmen. Das wäre ein Riesenschritt hin zur effizienten Koppelung von Strom-, Wärme- und Verkehrssektor und zur Dekarbonisierung Deutschlands.