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Der Booster für grünen Wasserstoff wird weder Geld noch ein Gesetz sein

Was Wasserstofftechnologien bereits heute in der Wärmeversorgung leisten können und welches Zukunftspotenzial noch in ihnen steckt, ist Thema der Fachtagung Housewarming 2020, die am 4. September 2020 erstmals als Online-Konferenz stattfindet.

Matthias Horx sitzt auf einem Stuhl, hinter ihm die Berge
Matthias Horx, Trend- und Zukunftsforscher (www.horx.com), Foto: Klaus Vyhnalek (www.vyhnalek.com)

Was Wasserstofftechnologien bereits heute in der Wärmeversorgung leisten können und welches Zukunftspotenzial noch in ihnen steckt, war das Thema der Fachtagung Housewarming 2020, die am 4. September 2020 erstmals als Online-Konferenz stattfand.

Matthias Horx ist einer der bekanntesten Trend- und Zukunftsforscher im deutschsprachigen Raum und war außerdem Keynote Speaker auf der Housewarming 2020. Er ist davon überzeugt, dass Wasserstoff in der neuen Welt eine wichtige Basis der postfossilen Infrastruktur darstellen wird. Bis dahin sieht er zahlreiche Zwischenlösungen, die uns mehr oder weniger zügig zum eigentlichen Ziel führen werden. Die entscheidende treibende Kraft für den Durchbruch von grünem Wasserstoff sieht er jedoch weniger bei Fördergeldern und neuen Gesetzgebungen. Warum wir darauf nicht warten sollten, hat er Kai Hünemörder, Leiter des ZEWU und Organisator der gemeinsamen Veranstaltungsreihe mit Gasnetz Hamburg, in einem kurzen Interview verraten.

Kai Hünemörder:
In Ihrem neuen Buch „Die Zukunft nach Corona“ werfen sie einen besonderen Blick auf die Veränderung sozialer Verhaltensformen im Umgang mit der Krise. Inwieweit verschiebt sich gegenwärtig das Verhältnis von Technik und Kultur?

Matthias Horx:
In der Krise haben wir ja existentiell erlebt, wie wichtig menschliches Verhalten im Sinne humaner Kooperation ist. Währenddessen konnte uns (digitale) Technologie in der Corona-Krise zwar helfen, Kommunikationen aufrecht zu erhalten, aber so richtig „gerettet“ hat sie uns nicht. Künstliche Intelligenz, der große Hype unserer Tage, hat uns sozusagen sitzengelassen. Das war für viele Menschen, glaube ich, eine Grunderfahrung, die unser Verhältnis zum Technischen vielleicht auch auf eine gesunde Weise austariert. Wir sollten von der Technik keine Er-Lösungen erwarten, sondern Lösungen immer im Kontext menschlicher Kategorien und Bedürfnisse sehen.

Kai Hünemörder:
Bei der diesjährigen Housewarming 2020 stellen sie Möglichkeitsräume einer “Blauen Revolution” vor. Was verbirgt sich hinter diesem Begriff?

Matthias Horx:
Mit Blauer Revolution meine ich, im Gegensatz zur Grünen Revolution, eine Zukunfts-Entwicklung, in der Technik und humane Bedürfnisse auf einer neuen Ebene integriert werden. Dabei geht es auch darum, ein altes Paradigma des Ökologischen zu korrigieren: Knappheit. Die ökologische Bewegung argumentiert ja sehr stark mit dem Verzicht, mit der Idee der Einschränkung und der Beschränkung. Das macht aber die ökologische Bewegung unattraktiv, es führt zu dauernden Ideologie- und Verteilungskämpfen. Aber wir leben ja nicht wirklich in einer Welt, in der alles „immer knapper“ wird. Die Sonne, dieser ziemlich gut funktionierende Fusionsreaktor, bringt uns jeden Tag so viel Energie auf die Erde, dass wir hunderttausend Mal unsere Energiebedürfnisse befriedigen könnten. Moleküle und Elektronen sind nicht wirklich knapp, wie müssen sie nur vernünftig in Cradle-to-Cradle-Kreisläufe bringen. Blaue Revolution meint auch, das ökologische Technik attraktiv, sichtbar, „designt“ wird. Ein schickes Elektroauto, das eben mehr ist als nur ein umgebautes Benzinauto. Und energieautarke Häuser können richtig schön aussehen. Wir brauchen sozusagen Modedesigner für die Energiewende.

Kai Hünemörder:
Sie sagen bewusst nicht den „Anbruch eines neuen ökologischen Zeitalters“ voraus. Nach Corona sehen Sie uns aber auf einem gemeinsamen Weg in Richtung einer High-Tech-Systemökologie. Was sind die wichtigsten Faktoren? Und welche Rolle kann hier aus erneuerbarem Strom hergestellter Wasserstoff als Energieträger und Speichermedium in absehbarer Zukunft einnehmen?

Matthias Horx:
Diese neue Welt wird sich aus intelligenteren Systemen, lokaleren Lösungen und der Organisierung von Überschüssen entwickeln.

Wasserstoff wird dabei die Basis einer postfossilen Infrastruktur sein, allerdings erst in der zweiten Stufe. Jetzt geht es erst einmal um Übergangstechnologien, die wir ausformen müssen, zum Beispiel die Elektrifizierung des Antriebsstrangs bei Fahrzeugen. Oder verschiedener Zwischenspeicher-Techniken, die erstmal noch nicht auf Wasserstoff basieren können. Neuere Materialtechniken, die uns ins Wasserstoff-Zeitalter hineinführen können. Es geht um „schlaue Transitionen“, und dafür brauchen wir jede Menge Flagship-Projekte. Wir brauchen viel mehr erneuerbare Energie, und wir müssen diese Technologien in Gebäude, Straßen, Städte integrieren. „Zukunft entsteht nicht durch den Verzicht, sondern durch die Schaffung von mehr Möglichkeiten.“

Kai Hünemörder:
Nach einer aktuellen Branchenumfrage des Clusters Erneuerbare Energien Hamburg (EEHH) sehen die Befragten die Sektorenkopplung, Wasserstoffprojekte und eine klimafreundliche Wärmeversorgung als besonders förderungswürdig an. Was kann außer einer Änderung der rechtlichen Rahmenbedingungen und einer besseren finanziellen Förderkulisse Sektorenkopplung und den Wasserstoff stärker voranbringen?

Matthias Horx:
Vielleicht andere, bessere Begriffe. Mehr anfassbare Praxis. Generell mehr MUT und weniger Angst. Und vielleicht nicht ganz so viel Warten auf die Förderkulisse. Sagen wir mal: Ein Schuss Elon-Musk-Mentalität könnte nicht schaden.

Kai Hünemörder:
Mit dem ELBCAMPUS blicken wir stark auf die Weiterbildung von Technikern und Handwerkern in den Zukunftstechniken. Konkret fragen wir uns, was muss auch in den Köpfen passieren, damit grüner Wasserstoff ein echter Pfeiler einer klimaneutralen Zukunft werden kann. Haben Sie Ideen, wie die Fortbildung gestärkt werden könnte, damit kein Bottleneck durch fehlende Fachkräfte droht?

Matthias Horx:
Ich kann mir vorstellen, dass eine konsistentere und faszinierende „Story“ einer kommenden postfossilen High-Tech-Welt helfen kann. Die Zukunft braucht sozusagen mehr Sexyness, mehr Faszinationskraft, sie ist heute immer noch zu sehr „Vermeidung von Gefahren“. Zukunft beginnt immer im Kopf, in den Visionen, die uns voranbringen können. Und die Attraktivität von Berufen, der Wille, solche Berufswege einzuschlagen, hat etwas mit der Attraktivität solcher Visionen zu tun. Wir brauchen auch neue Berufsbezeichnungen, die die verschiedenen Gewerke miteinander und zu traditionellen Berufen vernetzen können: Wie wäre es mit „Solarintegrator“.

Kai Hünemörder:
Klingt spannend! Das werde ich mal mitnehmen. Erst einmal ganz herzlichen Dank Herr Horx für den zukunftsweisenden Einblick.

Die Fachtagung Housewarming wird jährlich von dem Kompetenzzentrum für innovative Erdgasanwendungen – einer Kooperation des ZEWU – Zentrum für Energie-, Wasser- und Umwelttechnik und Gasnetz Hamburg veranstaltet.

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