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Ein flüchtiges Gas – dingfest gemacht

Grüner Wasserstoff gilt als ein möglicher Kandidat für fossilfreie Wärmeerzeugung. Wie weit ist die technologische Entwicklung, welche Einstiegs-Szenarien für eine Nutzung von grünem Wasserstoff für die Wärmeversorgung gibt es?

Die Online-Fachtagung „housewarming2021“ gab einen Überblick über den Stand der Entwicklung – und erlaubte Einblicke in konkrete Pläne und Projekte.

Ein kleines Betonhäuschen, blau besprayt mit Wassertröpfchen, daneben zwei Sixpacks mit großen Gasflaschen – so unscheinbar sieht von außen die Versuchsanordnung aus, die der Referent Benjamin Zander in seinem Vortrag über das Projekt „mySMARTlive“ in Hamburg-Bergedorf auf einigen Fotos präsentierte. Doch hinter dem unauffälligen Metallzaun wird experimentell erforscht, wie die Wärme-Versorgung von Gebäuden in der nahen Zukunft aussehen könnte: In den Gasflaschen befindet sich das sehr flüchtige Gas Wasserstoff, ein brennbarer Energieträger, der sich gut speichern lässt.

Gewonnen wurde dieser „grüne“ Wasserstoff durch die Zerlegung von Wasser in seine zwei Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff mit Hilfe von Strom. Von grünem Strom wohlgemerkt – also aus erneuerbaren Energien wie Wind- oder Solarenergie. Dieser chemische Vorgang nennt sich Elektrolyse. Wird Wasserstoff verbrannt, bleibt nur Wasser zurück. Alles, was es braucht, ist ein Leitungsnetz, um es sicher zu Wohngebäuden zu transportieren – wie etwa das bestehende Hamburger Gasnetz. Im Prinzip wäre es möglich, diese Leitungen zu nutzen, um zumindest eine Mischung aus Wasserstoff und Erdgas zu transportieren. Doch wie hoch könnte eine Beimischung sein? Inwiefern verändert sich die Beschaffenheit des Gases? Und inwieweit müssten Leitungs- und Gebäudetechnik infolgedessen angepasst werden?

Das Bergedorfer Versuchsprojekt versucht, darauf eine ganz konkrete Antwort zu geben: In verschiedenen Phasen werden bis nächsten September aus den Gasflaschen unterschiedliche Prozentsätze an Wasserstoff in die Gasleitungen des benachbarten Wohnhauses eingespeist – angefangen von 5 Prozent, bis hinauf zu 30 Prozent. Da Wasserstoff andere Fließ- und Brenneigenschaften hat als Erdgas, sind solche praktischen Erfahrungen von hohem Erkenntniswert. Sie werden auch gebraucht, um abzuschätzen, welche Chancen „Grüner Wasserstoff“ mittel- und langfristig gegenüber einer anderen, heute schon technisch ausgereiften Lösung hat – der Wärmepumpe, betrieben mit Ökostrom.

Welche der beiden Technologien sich bis 2030 auf welchem Gebiet durchsetzen wird, oder ob es eine Kombination von beiden geben wird, ist keineswegs ausgemacht. So sahen es jedenfalls die rund 180 Teilnehmer*innen der Tagung in einer Blitz-Umfrage. Die meisten zeigten sich dabei „technologieoffen“: Sie halten eine Koexistenz beider Technologien für die wahrscheinlichste Entwicklung.


„Grüner Wasserstoff wird die Energieversorgung in Hamburg verändern, das ist ganz klar“, prognostizierte Hjalmar Stemmann, Präsident der Handwerkskammer, gleich zu Beginn der Fachtagung. „Als erstes in den Gewerbebetrieben, dann aber auch in der Gebäudewärme in ganz Hamburg.“ Die Nutzung von Grünem Wasserstoff für private Haushalte ist dabei die Variante, die von allen Szenarien wohl noch am weitesten in der Zukunft liegt.

Gleichwohl wollen sich die Versorger und mit ihnen Handwerk und Industrie rechtzeitig auf mögliche Anpassungsmaßnahmen am Leitungsnetz, aber auch bei den Endgeräten, einstellen. Mit dem Siegel „H2-ready“ werden schon heute Bauteile wie Rohre, Ventile und Zähler, aber auch Verbrenner zertifiziert, die sowohl mit Erdgas als auch mit unterschiedlich hohen Beimischungen von Wasserstoff  funktionieren. Die rund 600 innungsgebundenen Hamburger Fachbetriebe im Bereich Sanitär, Heizung und Klima sollen durch Fortbildungsangebote der Innungen und am Elbcampus rechtzeitig auf die „Wärme-Wende“ durch Grünen Wasserstoff vorbereitet werden.

Die größten technischen Veränderungen ergeben sich zum einen aus den Fließ- und Brenneigenschaften von Wasserstoff – Leitungen, Ventile und Zähler müssen daran angepasst werden. Vor allem aber verändern sich ab einem bestimmten Beimischungsgrad auch die brenntechnischen Eigenschaften – der Zündbereich von Wasserstoff und damit einhergehende Explosionsschutzmaßnahmen etwa sind deutlich größer als bei Erdgas. Darauf wies der Referent Marco Henel hin, der im Rahmen des Projekts „Power-to-Gas“ beim gastechnischen Institut DBI Gas- und Umwelttechnik in Leipzig die Wasserstoff-Verträglichkeit von Leitungen erprobt. „Ab einem Drittel Wasserstoffanteil werden höhere Sicherheitsstandards fällig“, weiß er. 

Zeitlich näher als die private scheint die industrielle Nutzung von Grünem Wasserstoff zu liegen – hier rechnet man schon um das Jahr 2030 mit deutlichen Kostenvorteilen gegenüber Erdgas. Anders als bei der privaten Versorgung geht es bei der industriellen Nutzung um eigene, neu anzulegende Leitungsnetze. Durch diese soll kein Gasgemisch, sondern reiner Wasserstoff fließen. Als Erprobungsfeld bieten sich in Hamburg dafür der Hafen und der Hamburger Süden an: Zum einen, weil dort ein Großteil der Abnehmer angesiedelt ist. Aber auch, weil es mit dem stillgelegten Kraftwerk Moorburg und dem noch umzuwidmenden Kraftwerk Tiefstack zwei Standorte für die Erzeugung und Verteilung von Grünem Wasserstoff gibt, die eine gute Infrastruktur bieten. Indirekt werden auch Wohngebäude von der industriellen Nutzung profitieren: Die Abwärme aus den großen Elektrolyse-Anlagen kann als Fernwärme nutzbar gemacht werden. 
 

 

Der technische Geschäftsführer beim Gasnetz Hamburg Michael Dammann stellte den aktuellen Planungsstand für das Industrie-Wasserstoffnetz „HH-WIN“ vor: In der ersten Stufe soll bis 2030 ein Leitungsnetzwerk von rund 60 Kilometer Länge im Hafengebiet entstehen. Ausgangspunkt soll das Kraftwerksgelände Moorburg sein, auf dem ein Groß-Elektrolyseur geplant ist. Ein Drittel des derzeitigen Verbrauchs der angeschlossenen Betriebe an Erdgas soll durch diesen Grünen Wasserstoff ersetzt werden.

In der industriellen Anwendung zeigt sich die Vielfältigkeit des Grünen Wasserstoffs: In Teilen der Metallindustrie kann durch die so genannte „Direktreduktion“ Kohlenstoff durch Wasserstoff ersetzt werden, der mit dem Sauerstoff aus dem Eisenerz reagiert. Über eine Million Tonnen CO2 würden damit jährlich eingespart werden können. Bis 2035 sollen noch einmal 40 Kilometer Leitungsnetz in anderen Stadtgebieten hinzukommen.  „Die Startposition Hamburgs beim Einstieg in grünen Wasserstoff ist ideal“, so Michael Dammann. „Jetzt brauchen wir fähige Fachleute, um für unsere Industrie, für das Gewerbe und für die Menschen in unserer Stadt die optimalen Lösungen zu schaffen.“ Das Hamburger Handwerk und der ELBCAMPUS, so viel zeigte die Tagung, bereiten sich schon jetzt darauf vor. 
 

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